Digitalisierung in Deutschland: Wie ist der aktuelle Stand?

Aktueller Stand der Digitalisierung in Deutschland

Deutschland steckt mitten im Digitalen Wandel. Einer, der scheinbar nur stockend voran geht. Stimmt das? Wir werfen einen Blick auf neue Statistiken, Studien und Expertenmeinungen.

Wie digital ist Deutschland?

“Deutsche Wirtschaft verpasst die Digitalisierung”, “Wie Deutschland die Digitalisierung verschläft” oder “Deutsche Arbeitnehmer nicht für Digitalisierung gewappnet”: Diese und ähnliche Schlagzeilen kann man seit Jahren in den Medien hören und lesen.

Ist die Lage tatsächlich so fatal? Oder sind das nur subjektive Meinungen und veraltete Nachrichten? Wie steht die deutsche Wirtschaft aktuell wirklich im internationalen Vergleich da?

Das sind spannende Fragen. Deswegen haben wir uns aktuelle Studien, Umfragen und Erhebungen angeschaut, um einen Überblick zu erhalten. Die Ergebnisse sind erstaunlich und teilweise frustrierend zugleich.

Bevor wir uns auf Zahlen, Daten und Fakten stürzen, erklären wir zuerst diese grundlegende Frage:

Was ist mit "der Digitalisierung" überhaupt gemeint?

Es gibt nicht die Digitalisierung. Was unter Digitalisierung, Digitaler Wandel oder auch Industrie 4.0 verstanden wird, ist ein großer Themenkomplex, der aus vielen Aspekten besteht. Zum Beispiel gehören dazu der Breitbandausbau, E-Learning, E-Government, E-Commerce, E-Health, Remote Work und die Nutzung von Cloud-Anwendungen. Ebenso zählen unter anderem Big Data, Künstliche Intelligenz, Smart Home, Connected Cities, Fintech, Predictive Maintenance, Deeptech, autonom fahrende Autos und Virtual Reality dazu.

Dieses breite Spektrum macht es schwer, über die Digitalisierung zu reden, denn sie umfasst extrem viele Themengebiete. Dazu kommt, dass jeder Mensch den Grad der Digitalisierung anders wahrnimmt. Manch ein Unternehmenslenker sieht vielleicht den Digitalen Wandel als getan an, wenn er seine Unternehmenskommunikation von Brief und Fax auf E-Mail umstellt. Andere Entscheider bezeichnen die Digitale Transformation ihres Unternehmens erst als gelungen, wenn Unternehmensprozesse vollautomatisiert mit KI-Steuerung ablaufen.

Dazu kommt, dass sich das Rad der Technologien mit Höchstgeschwindigkeit weiterdreht. Was sinnbildlich gesprochen gestern noch neu war, ist heute normal und morgen vielleicht schon längst überholt. Unternehmen, die manche Entwicklungen aussitzen oder zu zögerlich angehen, können innerhalb weniger Jahre von großen wie auch kleinen Mitbewerbern überholt werden. Der Anschluss gestaltet sich dann als extrem schwierig oder gar unmöglich.

Digitalisierung ist also nicht gleich Digitalisierung. Dementsprechend sind Erhebungen und Diskussionen zu diesem großen und immer größer werdenden Themengebiet immer mit Vorsicht zu genießen!
 

Ließ die Corona-Pandemie den Digitalisierungsgrad ansteigen?

Wenn Branchen, Industrien und weltweite Veränderungen betrachtet werden, hat sich in den letzten Monaten folgende Einteilung eingebürgert: “vor Corona” und “nach Corona”. Wobei die Bezeichnung “nach Corona” etwas unscharf ausfällt, da die Pandemie derzeit (Stand: Herbst 2021) in keinster Weise beendet ist.

Nichtsdestotrotz gilt die Corona-Pandemie und die damit verbundene Krise als ein wichtiger Wachstumstreiber der Digitalisierung in Deutschland. Stimmt das? Hat COVID wirklich eine großflächige Digitale Transformation bei Unternehmen, Behörden und gesamten Branchen eingeläutet?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man zuerst den Stand der Digitalisierung in Deutschland vor der Corona-Krise betrachten.
 

So digital war Deutschland direkt vor der Corona-Krise

“Befriedigend” bis “ausreichend”: Diese Schulnoten gaben mittelständische Geschäftsführer im Frühjahr 2020 ihren eigenen Unternehmen in Sachen Digitalisierung. Das waren nicht die einzigsten ernüchternden Ergebnisse der damaligen Bitkom-Umfrage: Vier Prozent der Unternehmenslenker hielten die gesamte deutsche Wirtschaft für digital abgeschlagen, niemand sah Deutschland im internationalen Vergleich als führend an.

Diese Einschätzung deckte sich mit den Ergebnissen des DESI 2019 (Digital Economy and Society Index) der EU-Kommission. Dieser bescheinigte, dass der Digitalisierungsgrad von Deutschland im europäischen Vergleich nur im Mittelfeld lag.
 

Zu ähnlichen Ergebnissen kam der D21 Digital Index 2019/2020 der Deutschen Telekom. Die große Gesellschaftsstudie zeigte ein Lagebild der deutschen Wohnbevölkerung. Das Ergebnis: Der Digitalisierungsgrad lag bei 58 von 100 Punkten.

Digitalisierung in Deutschland: Lichtblicke in den Studien

Der deutsche Digitalisierungsgrad lag vor der Corona-Pandemie zwar noch im mittleren Feld, aber er stieg seit Jahren an - so eine positive Erkenntnis des D21 Digital Index 2019/2020. Laut der Studie waren 86 Prozent der Deutschen online, davon gingen die meisten über ihr Smartphone ins Netz.

Und ein Großteil der Bundesbürger standen den Veränderungen durch den Digitalen Wandel aufgeschlossen und positiv gegenüber. Das bestätigte eine Forsa-Umfrage im Auftrag der FDP: Über 80 Prozent der Deutschen sahen die Digitalisierung als Chance an und erkannten die Vorteile.

Als die Corona-Pandemie ausbrach und ihren Lauf nahm, waren in einer DMEXCO-Umfrage 70 Prozent der Überzeugung, dass die Situation den Digitalen Wandel besonders bei Unternehmen beschleunigen würde.
 

Gelang die Digitale Transformation von Deutschland im Eiltempo?

“Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die Digitalisierung in der deutschen Wirtschaft stark an Bedeutung gewonnen hat”, heißt es in einer Pressemitteilung des Bitkom im November 2020. Nach diesem positiven Einstieg folgte gleich eine Dämpfer: “Zugleich wurden aber vielen Unternehmen auch die eigenen Defizite bei den bisherigen Digitalisierungsbemühungen vor Augen geführt. Und es besteht die Gefahr, dass die digitale Spaltung in der Wirtschaft weiter zunimmt.”

Trotz der ambivalenten Lage hätten die meisten Unternehmen ihre Prozesse digitalisiert, so der IT Branchenverband. Zum Beispiel setzten sie auf Videokonferenz-Programme wie Zoom, auf Collaboration-Tools wie Slack und Microsoft Teams und auf Messenger-Dienste wie WhatsApp. Zudem hätten deutsche Unternehmen im großen Stil neue Hardware gekauft, um beispielsweise Remote Work bzw. Home Office zu ermöglichen.
 

“Die Corona-Krise sorgt für einen Transformationsschub im deutschen Mittelstand” lautet die Zusammenfassung einer repräsentative Umfrage der DZ Bank im Herbst 2020. Besonders um neue Geschäftsmodelle und Märkte zu erschließen, hätten die Mittelständler ihre Investitionen um fast 40 Prozent aufgestockt.

Neue Geschäftsmodelle hieß besonders für den Einzel- und Großhandel: eine Verlagerung des Business’ auf den Onlinehandel. Durch die sich wiederholenden und teils langen Lockdowns mussten neue Vertriebswege her. Der E-Commerce, der an sich schon seit vielen Jahren boomt, erlebte 2020 einen kometenhaften Aufstieg. In den meisten Bereichen gab es zweistellige Zuwachsraten, in machen von bis zu 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Digitale Transformation in Deutschland: weitere Zahlen, Studien und Statistiken

Der Grad der Digitalisierung hat sich bei deutschen Unternehmen während der Corona-Zeit entwickelt. Teilweise im Schnellzug-Tempo, teilweise nur in Schnecken-Geschwindigkeit. Denn nicht überall kam der Digitalisierungsschub an.

Der KfW-Digitalisierungsbericht Mittelstand 2020 attestiert zum Beispiel, dass mehr als ein Drittel der Mittelständler unverändert keine Tätigkeiten für ihre Digitalen Transformation durchführten. Zudem hätten sich viele Firmen auf schnell umsetzbare, kurzfristige Aktivitäten konzentriert, aber zugleich langfristige Maßnahmen zurück gestellt. Warum? Die Erschließung neuer Märkte stehe selten im Vordergrund, so die KfW-Studie. Zudem hätte der gestiegene Verschuldungsgrad während der Krise dazu geführt, die Ausgaben für die Digitalisierung einzufrieren.

Dazu kam ein weiteres Problem, das viele Unternehmen besonders bei den ersten Lockdowns hart traf: “Für den massenhaften Umzug vom Büro ins Home Office war Deutschland nicht vorbereitet”, erklärt der Deutschland-Index der Digitalisierung 2021. Remote Work scheiterte an den langsamen und instabilen Internetverbindungen. Die Glasfaserversorgung sei in der Fläche weiterhin zu dünn, so die Digital-Studie. “Zudem ist immer noch ein zwar kleiner, aber dennoch viel zu hoher Anteil der Bevölkerung qua Wohnort oder auf seinen Wegen von einem leistungsfähigen Internetanschluss ausgeschlossen”, heißt es weiter.

Der flächendeckende Ausbau des Breitband-Internets war eines von über 130 Versprechen der Großen Koalition bei Amtsantritt, also vor der Corona-Krise. Viele der Vorhaben wurden bislang nur teilweise oder gar nicht umgesetzt. Besonders in der Verwaltung und bei den Schulen gäbe es große Defizite, resümiert der Bitkom. Das Magazin Wirtschaftswoche bezeichnet die Situation als “Das digitale Bildungsdesaster”.

Und wie sehen Unternehmen die eigene Lage? Auch hier lautet die Benotung wieder “befriedigend”. Der DIHK (Deutscher Industrie- und Handelskammertag) ließ bei einer Erhebung zirka 3.500 Firmen ihren eigenen Digitalisierungsgrad benoten. Während sich Betriebe aus dem Gastgewerbe im Durchschnitt eine 3,4 gaben, stellte sich die ITK-Branche mit der Schulnote 2,1 ein gutes Ergebnis aus.


Digitalisierung: Wie schlägt sich Deutschland im internationalen Vergleich?

Der Digital Transformation Index von Dell verglich den digitalen Reifegrad von 18 Ländern. Deutschland landet hier mit 56 von 100 Punkten im mittleren Feld. Ein Grund: In der Bundesrepublik gäbe es noch einen hohen Anteil an Unternehmen, die zu den sogenannten Digital Evaluator gehören. Das sind Firmen, die sich nur graduell mit der Digitalen Transformation beschäftigen. In anderen Ländern wie USA, China, Mexiko und Brasilien finden sich dagegen mehr Unternehmen mit gereiften Digitalstrategien. Sie gelten damit als Digital Adopter.

Der Digital Riser Report betrachtet die digitale Wettbewerbsfähigkeit von 140 Ländern. Nicht im Mittelfeld, sondern fast ganz am Schluss landet die Bundesrepublik bei der Betrachtung der G20-Länder. Führend sind hier China, Saudi Arabien, Brasilien und Argentien.

 

Deutlich besser sieht das Bild beim 2020 Enabling Digitalization Index von Euler Hermes und der Allianz aus. In dieser Digitalen-Transformation-Studie schaffte es Deutschland auf Platz 3 (Vorjahr: Platz 2), hinter Dänemark und den USA. Denn der Index betrachtet nicht nur den aktuellen Digitalisierungsgrad, sondern zusätzlich die Möglichkeiten in verschiedenen Bereichen. Doch: “Deutschland hat viel Potenzial – lässt aber weiterhin Teile davon ungenutzt“, heißt es im Fazit.


Digitaler Wandel in Unternehmen: Der Druck wird größer

Trotz der Lichtblicke scheint klar, dass Deutschland die Digitalisierung mit mehr Nachdruck angehen muss. „Wir haben uns in der Vergangenheit zu viel Zeit gelassen”, meint Achim Berg. Der Bitkom-Präsident weiter: “Das Motto des ,Weiter so‘ gilt nicht mehr. Jetzt heißt es, digitale Infrastruktur aufzubauen, Geschäftsprozesse umfassend zu digitalisieren und neue, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln.”

Die Digitale Transformation ist nichts, was Unternehmen auf die leichte Schulter nehmen sollten. Kleine mittelständische Unternehmen wie auch Weltkonzerne sind nun mit neuen Mitbewerbern konfrontiert. Diese kommen aus der eigenen wie auch aus artfremden Branchen.

Start-ups und IT-Unternehmen drängen in Bereiche vor, die mit ihrem bisherigen Kerngeschäft wenig zu tun hatten. Ein Beispiel: Software- und Hardware-Firmen aus der ganzen Welt bringen die Automobilproduzenten ins Schwitzen, da sie die Komponenten bieten, welche die Fahrzeuge von morgen benötigen.

Dazu kommt, dass in Deutschland ein hoher Fachkräftemangel besteht. Dringend benötigte IT Spezialisten sind hart umkämpft. Außerdem fehlt es den bestehenden Mitarbeitern an Erfahrung und Wissen, um den Digitalen Wandel zu meistern. Regulatorische Vorgaben wie die DSGVO, die hohe Komplexität wie auch die enormen Kosten sind weitere Herausforderungen.

Und der DIHK hat ein weiteres Hemmnis erkannt: Mehr als ein Drittel der Betriebe haben nur eine unzureichende Verfügbarkeit von schnellem Internet am Unternehmensstandort.
 

Fazit: Digitalisierung in Deutschland - so ist die Lage

Ja, die Corona-Pandemie hat die Digitale Transformation deutscher Unternehmen und die Digitalisierung der Wirtschaft beschleunigt. Teilweise wurden innerhalb weniger Tage die Arbeitsweise umgestellt und in kürzester Zeit neue Geschäftsmodelle erschlossen (Stichwort: E-Commerce). Und viele Betriebe haben erkannt, dass der Digitale Wandel kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit ist, um aktuell und in Zukunft überleben zu können.

Aber nein, nicht in allen Bereichen war die Krise ein Antrieb. Der Grad der Digitalisierung blieb in einigen Bereichen weit hinter dem Potential und hinter dem Notwendigen zurück. Gerade bei Behörden und Schulen ist weiterhin ein großer Mangel vorhanden, auch in manchen mittelständischen Unternehmen bleibt der Digitalisierungsgrad niedrig.

Das ist umso gefährlicher, wenn man die Bundesrepublik im internationalen Vergleich betrachtet. Wie verschiedene Studien und Statistiken zeigen, geht die Entwicklung der Digitalisierung in Deutschland zu langsam voran. Immer mehr Länder ziehen links und rechts vorbei. Das ist besonders für eine Exportnation kein gutes Zeichen.
 

Bilder: Adobe Stock, Statista, Bitkom, Etventure